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Andreas Nyffenegger

 

Der Fotograf Andreas Nyffenegger hat durch seine sorgfältig komponierten Bilder von Objekten, die er in neuem Zusammenhang verfremdend und stimmungsvoll inszenierte, bereits in mehreren Ausstellungen nachhaltig auf sich aufmerksam gemacht. Er hat auch Eingang ins wichtige, 1992 erschienene Lexikon «Photographie in der Schweiz» gefunden.

 

Seine neusten Arbeiten, eine mehrteilige Serie, betitelt er lapidar, aber bezeichnend mit: «Nass». Dabei geht es nicht um Wasserfotos, sondern um vergrösserte Aufnahmen von kleinen nassen Asphaltbereichen am Strassenrand oder auf Plätzen, die mit Blättern, Fundgegenständen, Zigarettenstummeln oder anderem Abfall bedeckt sind. Es sind vorerst banale, von niemandem beachtete und erst in der Vergrösserung spektakulär wirkende Ansichten: Allein das Auge des Fotografen erschliesst dem Betrachter diese neuen erstaunlichen Welten.

Oft bleiben die fotografierten Ausschnitte unverändert, gelegentlich wird aber auch etwas zurechtgerückt, etwa ein Blatt ergänzt oder weggenommen. Dahinter steht die Absicht des Ästheten Nyffenegger, die Formen und Farben des gefundenen «Bildes» auf sich wirken zu lassen und wenn nötig deren Wirkung durch minime Eingriffe zu intensivieren bis er es schliesslich zur fertigen Komposition erklärt. Jede Veränderung des vorgefundenen Zustands sowie die genaue Wahl des Ausschnitts und des natürlichen Lichteinfalls sind lang dauernde und schwer wiegende Entscheide des Fotografen vor Ort hinter seiner Hasselblad-Kamera. Der Druck auf den Auslöser beendet diese kreative Phase. Anschliessend wird dann vom ganzen quadratischen Dia ohne Einschränkung, ohne Beschnitt und Bearbeitung eine technisch einwandfreie Vergrösserung erstellt.

 

Das präzise und minuziöse Abbilden der Wirklichkeit hat etwas Beruhigendes: Sie ist so objektiv festgelegt und verfügbar. Doch sind Ruhe und Harmonie nur vorgetäuscht – bestrickend zwar, aber doch fragil. Im nächsten Moment können Wind, Sonne, Regen oder spielende Kinder den vertraut gewordenen Ausschnitt zerstören. Was bleibt ist die Fotografie davon mit der geheimnisvollen Spannung der abgebildeten Dinge untereinander, mit ihrem Verhältnis zum ganzen Bild, mit ihrem harmonischen Farbzusammenhang. Das vergrösserte und die Proportionen verändernde Foto-Bild mit seiner starken Dichte und Präsenz ist es schliesslich, das beim Betrachter zuerst Wiedererkennen und dann die Ahnung einer Welt hinter den Dingen auslöst.

 

Hinter dem Thema «Nass» der neuen Fotoserie, das sich auf den Zustand der abgebildeten Dinge bezieht, stehen vor allem auch ästhetische Beweggründe, denn die Farben der nassen Blätter und Gegenstände erscheinen viel intensiver. Der nasse Asphalt reflektiert zudem die Farben des Himmels und schafft so einen malerischen, verbindenden Hintergrund, vor dem der Foto-Künstler die Objekte, die Formen und Farben mittels bewusster Lichtführung plastisch zu einander in Verbindung setzt und so festhält.

Damit ergibt sich auch die auffallende Nähe seiner Fotografien zu den Stillleben der Malerei, bei denen es ebenfalls um die Darstellung von Gegenständen geht, die vom Maler bewusst nach ästhetischen Gesichtspunkten zusammengestellt wurden. Ursprünglich war dabei auch eine möglichst täuschend echte Wiedergabe des Gegenstandes beabsichtigt, doch später ging es vor allem um die malerische Aneignung des Motivs, um Farbe und Form, um das Verhältnis zwischen Figur und Hintergrund. Das Stillleben wurde so zum unerschöpflichen Thema auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten in der modernen Malerei.

 

Ähnlich wirken die neuen Fotografien von Andreas Nyffenegger, die zu einer Zeit entstanden sind, wo die Fotografie die Malerei nicht mehr konkurrenziert, sondern gleichberechtigt zur Kunst gehört. Wie einem Maler sind ihm die Aufteilung und die Gliederung der Bildfläche sowie die Gestaltung im Bildformat wichtig, ebenso der Bezug der Objekte zueinander, die verhaltene Farbigkeit, die keine beliebige Buntheit aufkommen lässt, sondern im Gegenteil ruhige besinnliche Stimmungen schafft. Bei einigen Aufnahmen herrschen Blau-Töne bei anderen Rot-Braun-Töne vor. Die Bildkomposition wird im Prinzip nach den Regeln der Malerei zusammengehalten, auch wenn sie bisweilen bis über den Rand hinausführt und eigentlich den Rahmen sprengt. Für den Bildeffekt wichtig sind auch die Glanzlichter, die Nass-Reflexe, die je nach Farbintensität und Belichtung Plastizität oder unwirkliche Tiefe vorgaukeln.

 

Nyffeneggers Fotografien sind persönliche künstlerische Aneignungen, mit denen es ihm gelingt, auf flüchtige,  versteckte oder auch rätselhafte Strukturen der Natur hinzuweisen. Dies gilt für seine früheren Arbeiten, etwa die Serien «Hände» (1982), «Gesichter» (1992) oder «Feuerzeichen» (1994), aber vor allem auch für seine neue Fotoserie «Nass» (2002): Das Betrachten der zufälligen oder nur wenig arrangierten Makro-Ausschnitte mit den Vergänglichkeitsutensilien wird zu einem assoziativen, bewegenden Erlebnis, während gleichzeitig die stille Poesie dieser Arbeiten überzeugt.

 

© 2005 Steffan Biffiger, Kunsthistoriker

publiziert in:

Katalog: «Andreas Nyffenegger – Fotografien»,  Texte: Steffan Biffiger; Isabel van Beek, Kunstkeller Bern 2005